Crossfit und ich
«Du hast dich in den Jahren unglaublich entwickelt. Als wir uns in Ungarn kennen gelernt haben, warst du ein Strich in der Landschaft.»
– Anna Quost, D, Master Games Athletin 2021
Diplomatisch hat sie verschwiegen, dass ich auch heute noch eher zu den «Finöggalis» der CF Athletinnen zähle. Aber ja, meine Leistung hat sich ziemlich verändert. Und ich arbeite immer noch daran mich zu verbessern, mit viel Freude und Begeisterung für den Sport. Wie es dazu gekommen ist?
Die Geburtsstunde von Crossfit liegt in den 1970er Jahren in den USA. In der Schweiz eröffnete 2009 die erste CF Box in Basel. Kurz danach folgten die Westschweiz und Zürich. 2011 startete mit Crossfit Turicum das erste Schweizer Team an den Regionals (Vorausscheidung zu den Games), mit in diesem Team war Luzia Bühler. Im Sommer 2013 gründete Luzia die erste und bisher einzige Crossfit Box in Chur, es war die Geburtsstunde von Crossfit Capricorn.
Mein Weg zu Crossfit
Untypisch. In den ersten Jahren schwenkten meist sportlich erfahrene Personen auf diesen Trend um, auf der Suche nach neuen Herausforderungen. Das Fitnessphänomen reizte sie. Ich hingegen konnte keine sportliche Karriere vorweisen. Seit meinem Studienstart setze ich klar andere Prioritäten. Ich war beschäftigt mit vielen beruflichen Herausforderungen und noch mehr Umzügen (rund 15 Mal), aber körperlich war ich über zehn Jahre kaum aktiv. Natürlich grummelte ab und zu ein schlechtes Gewissen, aber ich fühlte mich voll ausgelastet. Dann lancierte das Gesundheitsamt Graubünden das Sportprogramm «Verwaltung bewegt». Eine Arbeitskollegin schleppte mich von Kurs zu Kurs, ich leckte Schweiss. Als eine der Ersten stolperte ich im Sommer 2013 zu Luzia, absolut ahnungslos, aus reiner Neugier getrieben. Ich machte die Bekanntschaft mit einer Kettlebell, die Langhantel blieb mir längere Zeit suspekt und vermeintlich harmlose Übungen wie beispielsweise Pistols (einbeinige Hocke) bescherten mir tagelanges Andenken. Doch die vielen neuen Bewegungen, die es zu erlernen galt wussten mich zu begeistern. Der Wettkampfcharakter einzelner Workouts in der Gruppe trieb mich zu ungeahnten Leistungen und Hochgefühlen, mein Körper begann sich zu verändern.
Mein Weg zur Crossfit Athletin
Gut zwei Jahre später bekam ich wieder einen Stupser. Dieses Mal von einem Trainingskollegen. «He Chris, es gibt neu einen Wettkampf nur für die ältere Generation. Melden wir uns an?»
Wenn auch nur knapp, qualifizierte ich mich für das Final in Ungarn. Mein erster sportlicher Wettkampf überhaupt (abgesehen von Schulevents) und das mit 38 Jahren, nach über zehnjähriger Sportabstinenz und zwei Jahren Erfahrung im Crossfit. Ob ich Selbstzweifel hatte? Und ob! Ich fühlte mich wie ein nervöser Lauchstängel in mitten von Hulks. Und dann, am zweiten Tag kamen sie: 40kg Thruster. Bis anhin bekam ich dieses Gewicht grad so bis zur Schulter und nun sollte ich damit mehrmals über Kopf? Die Sonne brannte, der Betonboden glühte und die Arena bebte durch Motivationsrufe und Applaus. Zumindest so ist es mir in meiner Berauschung in Erinnerung geblieben. Denn das Unglaubliche geschah, ich bändigte die Langhantel und bewältigte das Gewicht, naja, zumindest für einige schwankenden Wiederholungen. Da hat es mich gepackt, das Wettkampffieber.
In diesen zwei Tagen wurde mir bewusst, wollte ich weitere Wettkämpfe besuchen, musste ich dafür kontinuierlich und geduldig arbeiten und auf meinen Körper achten. Mit Luzia im Hintergrund und meinem Partner an meiner Seite – meine beiden festen Anker – bin ich seitdem europaweit kompetitiv unterwegs. Ich empfinde es als ein grosses Privileg, so leben zu dürfen.
Mein Weg zum Crossfit Coach
Als Ergänzung zu meiner Selbständigkeit als Gestalterin bin ich immer einem Nebenerwerb nachgegangen – Brotjobs eben. Dank der Crossfit Box bekam ich die Chance, meine neue Passion auch beruflich zu nutzen, eine ideale Kombination. Zum einen ist es der optimale Ausgleich zu meiner kopflastigen One-Woman-Show. Gleichzeitig prägen sich meine beiden beruflichen Tätigkeiten gegenseitig. Das Coachen einer Trainingsstunde ist für mich wie ein Entwurfsprozess eines Grafikauftrags. Der spannende Unterschied: im CF präsentiere ich nicht das fertige Produkt, sondern ich habe die Chance, meinen Entwurf vor Ort durch die Members zu verbessern. Wie ist die Gruppe aufgelegt, bekundet ein Teilnehmer mit einer Ausführung Mühe … auf solche Situationen reagiere ich direkt und passe das WarmUp oder einzelne Übungsausführungen an; Klasse für Klasse. Und falls ich mich mal verliere, bitte um Verständnis; ich habe an euren Farbnuancen und Schattierungen getüftelt.
Nicht nur ich, auch Crossfit und Crossfit Capricorn haben sich in den Jahren verändert, angepasst, umstrukturiert. Vor drei Jahren haben Damaris und Marco Capricorn übernommen, keine einfache Einstiegszeit. Doch die neusten Entwicklungen nach Corona lassen aufhorchen: Immer öfters finden sportlich unerfahrene Personen zu CF. Sie wollen fit für den Alltag werden, zusammen mit anderen an ihrer Gesundheit arbeiten und dabei unterstützt und beraten sein. Ein wichtiger und positiver Trend, entspricht er doch exakt dem Grundgedanken und den Hauptzielen der Angebote von Crossfit Capricorn.
Ich habe mich für alle folgenden Finalaustragungen in Ungarn qualifiziert, bereits sechs Mal. Zwischenzeitlich kenne ich viele der Teilnehmenden und deren Begleitpersonen; die Master-Szene ist ein verschworener, multikultureller, buntschreiender Haufen. Wie an einem grossen Familienfest begrüsst man sich herzlich, steht sich dann etwas auf den Zehen rum, manchmal wird gequengelt, viel gelacht, und am Ende verabschieden sich alle müde, mit dem Versprechen auf ein Wiedersehen. Es ist nicht nötig, wettkampforientiert unterwegs zu sein. Aber es ist möglich.